Ist es der Phantomschmerz gefühlter Enterbung …?
Ist es der Phantomschmerz gefühlter Enterbung oder ist es der Ersatz für fiktive Eigentümerinteressen? Familienvertretungen in Stiftungsräten spielen eine besondere Rolle. Haben sie auch spezifische Aufgaben? Mit dieser Themenstellung beschäftige ich mich in meinem April-Blog.
Der Geschäftsführer einer traditionsreichen Förderstiftung sagte mir einmal, dass die Familienvertreter in seinem Stiftungsrat immer etwas speziell, etwas anders seien. Er meinte wohl: etwas «mühsam» seien.
Ein Blick von der anderen Seite
Schauen wir uns diese Konstellation einmal aus der Sicht eines solchen Familienvertreters an: Da «delegiert» mich meine Verwandtschaft in den Stiftungsrat einer Stiftung, die mein verstorbener Grossonkel gestiftet hatte. Weder habe ich meinen verwandten Stiftungsgründer persönlich gekannt, noch finde ich das Förderthema seiner gemeinnützigen Stiftung sonderlich interessant. Aber ich sitze nun mal in diesem Stiftungsrat, und versuche dort, meiner Verantwortung als Mit-Stiftungsrat gerecht zu werden. Fast alles ist mir neu – auch die herrschende Hackordnung, in der ich nicht nur der Neueste, sondern auch der Jüngste bin. Interessiert schaue ich zu, wie die Stiftungsgeschäfte laufen. Ich frage. Ich hinterfrage. Kritisch absolviere ich meinen Lernprozess. Skeptisch analysiere ich die Rollen der verschiedenen Akteure innerhalb der Stiftung. Ich muss das tun – nicht zuletzt, weil alles, was diese Stiftung tut, auch im Namen meines eigenen Familiennamens geschieht, den ich mit meinem Grossonkel teile.
Bei einer Rechtsfigur wie jener der Stiftung, die quasi «sich selbst gehört» und keine «harten» Anspruchsgruppen kennt, sind «Eigentümerinteressen» im eigentlichen Sinne sozusagen inexistent. Die Stiftungsaufsicht beschränkt sich im Wesentlichen auf eine Rechtsaufsicht. Missbräuchliches Verhalten ist in Stiftungen trotzdem möglich. Der Swiss Foundation Code von SwissFoundations zählt deren Hintergründe auf: Self-Dealing, Interessenskonflikte etc. So ist es kein Wunder, wenn in Stiftungsräten die Familienmitglieder manchmal nicht im Mainstream der Mehrheitsmeinungen (der sich in Stiftungen noch so gerne ausformt) mitmachen wollen, sondern Handlungsweisen kritisch hinterfragen. Und dabei vielleicht etwas «mühsam» wirken.
Wie schwierig es ist, als Familienangehöriger in einem Stiftungsratsgremium gegen eine vorherrschende Meinung anzutreten, und wie undankbar dies werden kann, das zeigte sich kürzlich im Fall der Fondation Susanna Biedermann in Basel, wo ein Stiftungsratsmitglied aus der Verwandtschaft des Stiftungsgründers eine Aufsichtsbeschwerde gegen ihre ehemaligen Mit-Stiftungsräte wegen kungetreuer Geschäftsbesorgung erheben wollte –erfolglos, weil die Klägerin aus der Verwandtschaft des Stifters ihre Klage erst nach dem einstimmigen Rausschmiss aus dem Stiftungsratsgremium eingereicht hätte. Ein anderes aktuelles Beispiel ist jenes der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte von Bruno Stefanini, wo die Nachkommen des Stifters ihre stiftungsurkundlich gewährleistete Einsitznahme im Stiftungsrat bis vor Bundesgericht erkämpfen mussten.
Pflichten, aber keine Sonderrechte für Familienvertretungen
Familienmitglieder in Stiftungsräten haben die üblichen Pflichten, aber sie verfügen über keine Sonderrechte, unabhängig davon ob sie kraft einer Regelung im Stiftungsstatut oder durch Kooption im Gremium des Stiftungsrats Einsitz genommen haben. Es «stehen ihnen in aller Regel weder statutarische, noch gesetzliche Rechte zu». Der Swiss Foundation Code postuliert im Gegenteil, dass auch bei Familienangehörigen des Stifters dieselben sachlichen Wahlkriterien wie bei den übrigen Stiftungsratsmitgliedern anzuwenden seien.
Es einsichtig, dass Stiftungsräte aus der Stifterfamilie oft einen Impetus spüren, besonders gut auf die Einhaltung des Stiftungszweckes zu achten und auch auf die finanzielle Langlebigkeit der Stiftung zu pochen (was in Tiefzinszeiten wie heute ja nicht immer leicht zu verfolgen ist). Auf der anderen Seite müssen sie verinnerlichen, dass eine gemeinnützige und steuerbefreite Stiftung schweizerischen Rechts keine private Familienstiftung ist (wie in Liechtenstein und in Österreich gang und gäbe) und dass sie als unabhängige und in sich ruhende Rechtsform nicht der verlängerte Arm der Stifterfamilie sein kann.
Auf was m. E. deshalb auch noch geachtet werden sollte: Wenn mehrere Familienvertreter in einem Stiftungsrat sitzen, vergrössert dies den Einfluss der betreffenden Stifterfamilie massiv. ; Im Extremfall reisen die Familienvertreter gar mit absoluter Mehrheit (und möglicherweise mit bereits gemachter Mehrheitsmeinung) an eine Stiftungsratssitzung, was ich im Fall einer steuerbefreiten Stiftung problematisch fände. Im «Mustergesetz» des European Foundation Centre war vorgeschlagen gewesen, «dass der Stifter und ihm nahe stehende Personen nicht unter sich sein sollen». Und differenzierter formuliert: «Stifter und andere Vorstandsmitglieder, die untereinander oder zum Stifter in einer Beziehung stehen, die Interessenkonflikt begründen könnte, der Urteilsvermögen beeinträchtigt, dürfen nicht Mehrheit bilden». Denn die Gründung einer gemeinnützigen und steuerbefreiten Stiftung als personifiziertem Zweckvermögen intendiert ja ein Ausscheiden des Stiftungsvermögen aus dem Rechtskreis des Stifters. Und diese wäre bei Familienmehrheiten in Stiftungsräten vermutlich nicht immer in letzter Konsequenz gewährleistet. (Es kommt hinzu, dass «Diversität» auch bei der Zusammensetzung von Stiftungsräten zu besseren Resultaten führen dürfte.)
Was für den Vorschlag des nicht realisierten Statuts einer «Europäischen Stiftung» hätte gelten können, das machte auch in der Schweiz Sinn. Eine Voraussetzung wäre dann freilich, dass Aufsichtsbeschwerden von Mitgliedern eines Stiftungsrats gegen Mit-Stiftungsräten wegen missbräuchlichem Handeln uneingeschränkt zulässig würden.
PS: Die Zitate in Kursive stammen aus Veröffentlichungen von Prof. Dominique Jakob von der Universität Zürich.