Kulturförderung zwischen Infarkt und Markt
Den Hashtag #keeparcopen haben Sie wohl nicht zu Gesicht bekommen. «Keep Arc open» war im vergangenen November der Appell von Kulturschaffenden an den Migros-Kulturprozent, dessen artist residency namens Arc in Romainmôtier Ende 2018 nicht zu schliessen. Die Migros war dabei «ertappt» worden, wie sie die Schliessung dieser fast fünfundzwanzigjährigen Künstlerresidenz im ehemaligen Benediktinerkloster im Waadtland nichtkommunizierte. Mittlerweile ist die Arc geschlossen. Und die unterschriftensammelnden und twitternden Kulturschaffenden sind um eine Déjà-vu-Erfahrung reicher – wie viele ihrer Branchenkollegen zuvor: Die Kulturförderer sitzen tatsächlich am längeren Hebel.
Der Kulturinfarkt
Die komplexe Gemengelage von Förderern und Geförderten war auch ein Hauptthema des Buches «Der Kulturinfarkt», das ich aus gerade genanntem Anlass letzthin einer Re-Lektüre unterzogen habe. Diese 2012 nach ihrem Erscheinen harsch kritisierte Streitschrift gab auf relevante Fragen (Wieso von allem zu viel und überall das Gleiche?) wenig hilfreiche Rezepte (Totalumbau der Kultur- und Förderstrukturen). Dieses Pamphlet aber kritisierte richtigerweise die weitverbreitete Marktferne der Kulturschaffenden und daraus folgend deren sehr weitgehende Abhängigkeit von Förderern jeglicher Art – des Staates, der Stiftungen, der Mäzene, der Sponsoren.
Nur weil in den letzten sieben Jahren kein Kulturinfarkt eingetreten ist (übrigens: Wie würden dessen Symptome eigentlich lauten?) ist die Situation für die Kulturproduzenten heute nicht besser als 2012. Immer mehr Kulturschaffende (die Kunsthochschulen sind ja zum «Produktivitätswachstum» verurteilt) müssen sich immer weniger Kulturkonsumenten teilen (da sich die Konsumvorlieben in andere Räume, z.B. in digitale Sphären, verlagern). Das spüren insbesondere die Theaterhäuser, welche begonnen haben, zwecks Erhöhung der Auslastungsquoten ihre Sitzreihen zu verringern (Basel hats vorgemacht; das Schauspielhaus in Zürich will nachziehen).
Fördern im Wandel
Dass die grosse Abhängigkeit der Kulturschaffenden von den Förderstrukturen fatal sein kann, dafür ist die Aufhebung der Arc durch den Migros-Kulturprozent ein Indiz. Das Fokussieren und das Betonen eigener Projektinitiativen, das die Migros der Aufgabe der Arc argumentativ hinterherschob, ist beim Fördern im Trend. Auch die Kantone entziehen sich solchen Entwicklungen nicht. Es sei das Beispiel des Kantons Basel-Stadt genannt, der seine Musikförderung vom reinen Subventionieren in ein Modell mit Ausschreibung und Mehrjahresverträgen umgewandelt hat, bei dem die Öffentliche Hand quasi die Rolle einer Pseudo-Intendanz übernimmt. Und eben zu Jahresbeginn hat sich Philanthropie-Professor Georg von Schnurbein in einem Interview in einer Richtung geäussert, die aufhorchen lässt: Grössere Förderstiftungen würden eine immer aktivere Rolle spielen, und in den letzten Jahren hätte man einen steten, wenn auch langsamen Wechsel von Kultur zu Sozial- und Umweltthemen beobachtet.
Da stellt sich gleich die Frage: Werden die Zeiten für Kulturschaffende, die auf Stiftungs-Fundraising angewiesen sind, künftig noch härter? Finanzkrise und Niedrigzinsumfeld zwingen die Förderstiftungen ja schon seit einem Jahrzehnt zum Sparen. Und die verstärkt an die Stiftungen gerichteten Erwartungen eines sichtbaren und transparenten Förderns animiert zu Schwerpunktbildung und Programmation – somit zu einer Gegenposition zur vielzitierten Fördergiesskanne. Bei ihren Prioritätensetzungen achten die Stiftungen (fördernd aber nicht zwingend mäzenatisch agierend) auf die gesellschaftliche und kulturpolitische Relevanz der von ihnen unterstützten Projekte. Man muss ja nicht gleich den Begriff «Marktgängigkeit» in den Mund nehmen, wenn man von einem Kulturförderprojekt erwartet, dass es Sitzplatz- oder Buchverkäufe anvisiert, Downloads generiert oder mindestens zu Clicks animiert (und von alle diesen gerne viele!). Ich schreibe dies weil ich bisweilen den Eindruck kriege, dass gesuchstellenden Kulturschaffenden die «performance» manchmal wichtiger als die «audience» ist, will heissen dass das Faktum des Aufführens zentraler zu sein scheint als das Publikum, das ihnen zuhören und zuschauen soll.
Kultur heisst Pflege, Beziehungspflege
Die lateinische «cultura» heisst «Bearbeitung / Pflege». Wenn damit ursprünglich vor allem der Ackerbau gemeint war, erwarte ich von der «Kultur» heute natürlich nicht eine manierliche Dreifelderwirtschaft, sondern durchaus unbändige Wüchsigkeit. Die dafür notwendige Energie beziehen die Kulturschaffenden aus ihrer Inspiration. Den Dünger steuern die Förderer bei. Weil sich reibt, was sich liebt, noch dieses hier: Geförderte wie Förderer stecken in einer Zweckgemeinschaft. Oft werden (wahlweise) die Anspruchshaltung, die Undankbarkeit, ja die Unflätigkeit des jeweils anderen als eine Zumutung empfunden. Förderpartnerschaften sind eben – wenn sie geschlossen und irgendwann mal wieder gebrochen werden – auch Tauschbörsen der Ideen, der Werte und der Temperamente. Infarkt hin, Markt her.